Routinen zu verlieren, heißt immer auch ein bisschen, sich selbst zu verlieren. Vor allem, wenn man Autistin ist – wie Nika Sachs.
Der Wegfall von Routinen ist eine subtile Welle der Zerstörung, die flach wirkt, bis sie brandet und alles mit sich reißt. Routinen sind für mich persönlich nicht das Ordnen von Gegenständen oder ein exakt getakteter Tagesablauf. Sie sind Verlässlichkeiten meiner Wahrnehmung, und Wahrnehmung bedeutet mir alles, denn sie gibt mir ein Stück weit Kontrolle über die Unberechenbarkeit der Gefühle und der Umwelt.
Die Details des Alltags sind für mein Hirn so intensiv, dass ich oft das Allgemeine, Offensichtliche verpasse; mir entgehen Zusammenhänge und leise Veränderungen um mich herum. Und dennoch wünsche ich mir keine andere Art, die Welt zu betrachten, denn ihre Intensität, die emotionale Sättigung, die mit ihr einhergeht, ist so groß wie das Leben. Details sind die Ästhetik unserer Welt, sie machen für mich die komplexe Schönheit und Grausamkeit unseres Daseins greifbar. Ästhetik ist Leidenschaft, Leidenschaft ist ein Rausch, Rausch ist Ekstase.
Erinnerungen an besonders ästhetische, intensive Momente sind an Gerüche, Gegenstände, Menschen und Musik gekoppelt. Es sind selten die lauten, offensichtlichen Katastrophen, die mich für Monate und Jahre belasten, es sind die kleinen, die in ihrer Summe dazu geführt haben. Mehrfach wurden ein geliebtes Parfum und ein Duschgel aus dem Sortiment genommen, Rezepturen und ganze Orte verworfen. Ein Teil der Erinnerungen an die Zeiten, in denen sie mich begleitet haben, ist mit ihnen verschwunden. Gerüche sind für mich wie eine Reise durch die Schubladen meiner Seele.
Gegenstände, die mir kaputtgehen oder Dinge, die verbraucht sind, nehmen immer einen Teil von mir mit, ich trauere um sie meist sehr.
Routinen sind ein Teil des Selbst wie Erinnerungen
Routinen sind für mich (vermeintlich irrelevante) beständige Begleiter und existenziell wichtig, sie sind ein Teil meiner Identität. Wenn Menschen sich ohne lauten Knall aus meinem Alltag und von mir weg entfernen, fühle ich mich grauenhaft. Und weil dann alles so wehtut in meinem Körper, fehlt mir meist die Kraft, zu ergründen, warum es so kam.
Ich denke immer und viel über alles und nichts nach. Gegebenheiten, die sich verändern, verunsichern mich auf existenziellem Level und ich weiß, dass nichts je selbstverständlich war und ist. Der Wegfall von Routinen lässt mich immer an mir selbst zweifeln und nagt an meinem gesamten Selbstverständnis. Das ist anstrengend. Das belastet mich. Nicht, dass Neues hinzukommt. Nur, dass etwas wegfällt.
Ich frage mich viel zu oft, wer ich bin.