Acedia – Die Trägheit des Herzens

Die Trägheit des Herzens ist wohl die am wenigsten beachtete der sieben Todsünden. Getreu dem Motto: „Sex, Drugs and Rock`n Roll“, stehen Lust, Völlerei und Eitelkeit hoch im Kurs. Sie sind anziehend, schillernd und erschreckend zugleich. All die Zutaten, die zu einer guten Geschichte gehören. Damit kann die Trägheit nicht aufwarten.

Doch lässt uns Acedia tiefer in die menschliche Psyche blicken, sie ist düsterer und erschreckender. Wer dieser Sünde verfällt, verliert das, was den Menschen in seinem Menschsein ausmacht. Er verliert die Gabe zu fühlen und Mitleid zu empfinden

Als Trägheit des Herzens wird der Zustand innerer Gefühllosigkeit bezeichnet: Wenn ein Mensch stumpf geworden ist gegenüber Leid und Schmerz seiner Mitmenschen. Er verliert Menschlichkeit und bleibt innerlich kalt im Angesicht von Armut, Kummer, Not, Ausbeutung, Gewalt und Krieg.

Eine Sünde des Alltags? – Wir alles sind betroffen

Dies hört sich erschreckend an, doch wenn man sich umblickt, bemerkt man, dass diese Gleichgültigkeit weit verbreitet ist und wir uns hier an die eigene Nase fassen müssen.
Wie oft gehen wir gedankenversunken an einem Bettler vorbei, ohne ihn in seinem Elend auch nur zu beachten? Wie oft greifen wir beim Shoppen nach dem günstigen Shirt, ohne uns bewusst zu machen, dass hinter dem billigen Preis das Leiden anderer Menschen steht? Und kommt es nicht auch hin und wieder vor, dass wir selbst nahestehende Personen, die unsere Unterstützung bedürfen abwimmeln, weil wir unter Stress und Zeitdruck stehen? Dabei hätte die Freundin vielleicht nur jemand gebraucht, der ihr zuhört.

All diese Beispiele zeigen, dass die Sünde der Acedia, der Nachlässigkeit und Trägheit häufig nicht direkt einer bösen Absicht oder einem üblen Willen entspringt. Oft basieren unsere Handlungen auf Unachtsamkeit und Gedankenlosigkeit. Wir handeln, ohne uns der Folgen der Handlung bewusst zu sein.

Doch nicht immer ist die innerliche Taubheit der Unachtsamkeit geschuldet. Es gibt auch das Nicht-anders-Wollen und das Nicht-anders-Können. Sprich, wenn einer absichtlich die Bedürfnisse anderer Menschen übergeht und ihm das Fühlen der Mitmenschen egal ist. Aber Manche sind im Gegensatz dazu durch psychische Disposition oder eine Krankheit in ihrem Fühlen in einem Maße eingeschränkt, das auf ihr Handeln Einfluss hat.

Nicht-anders-Wollen: Narzissmus

Ein Stück weit ist es normal, dass wir alles von unserem Standpunkt aus sehen und aus unserer Perspektive betrachten und beurteilen. Dementsprechend ordnen wir auch zu, was uns als wichtig und unwichtig erscheint, wie wir Prioritäten setzen und ob wir in einer Situation handeln, eingreifen, helfen oder unterstützen. Dies alles ist nichts Verwerfliches, sondern einfach menschlich.

Schlimm wird es allerdings dann, wenn wir keinen Abstand zu uns, unserem Handeln, Denken, Fühlen nehmen können: Wenn wir nicht in der Lage sind, uns in andere Positionen zu versetzen, etwas aus anderer Perspektive zu betrachten oder uns in andere hinein zu fühlen.

Betrachten wir uns als Zentrum der Welt, beziehen alles auf uns, nehmen uns für wichtiger als andere Menschen, sehen diese als gleichgültig oder gar minderwertig an, machen wir uns ebenfalls der Sünde der Acedia schuldig.

Die Psychologie würde hier von Narzissmus sprechen. Dieser Charakterzug zeichnet sich aus durch die vier „E“s: Egomanie, Empfindlichkeit, Entwertung Anderer und Empathie-Mangel.

Die Egomanie bezeichnet die oben beschriebene Eigenschaft, sich als Zentrum der Welt zu sehen, sich maßlos zu überschätzen und alles auf sich selbst zu beziehen. Die Selbstüberschätzung bringt mit sich, dass jede Äußerung, jede Kritik, jede Handlung in empfindlicher Weise als potentielle Kritik wahrgenommen wird. Diese Empfindlichkeit zeugt davon, dass die nach Außen getragene Selbstübersteigerung auf tönernen Füßen steht. Hinter dem Hunger nach Anerkennung und Beachtung steckt tatsächlich Unsicherheit und die Unfähigkeit, Wertigkeit aus sich selbst zu schöpfen.

Die beiden letzten „E“s stehen in engem Zusammenhang mit der Acedia. Es ist einmal die für Narzissten typische Eigenschaft, andere Menschen zu entwerten. Diese Entwertung hat den Sinn, sich selbst besser zu stellen und die eigene Überlegenheit zu demonstrieren und geschieht häufig auf unterschwellige und subtile Weise. Schlussendlich besitzen Narzissten eine mangelnde Fähigkeit zur Einfühlung, Empathielosigkeit.

Narzissmus ist eine der am schwersten zu therapierenden Störungen. Der Narzisst kann sich nicht eingestehen, dass ausgerechnet er in seiner Großartigkeit an Narzissmus erkrankt sein soll, er geht ja davon aus, dass er wirklich etwas Besonderes und besser als die Anderen ist.

Letztendlich schadet der Narzisst durch sein Verhalten nicht nur anderen, sondern auch sich selbst. Tatsächlich führt er in Einsamkeit und Unglück. Denn wer möchte schon mit einem solchen Menschen Umgang pflegen oder befreundet sein? Und echte menschliche Begegnung ist auch nur da möglich, wo ein Mensch bereit ist, auch Schwäche zu zeigen und das ist etwas, was ein Narzisst nicht kann.

Soziale Medien: Narzissmus als gesellschaftliches Phänomen

Durchaus hat der Narzissmus in unserer westlichen Welt zugenommen. Gründe hierfür sind einmal die Tendenz zu immer stärkerer Individualisierung, zum anderen die Gesellschaftsstrukturen. Diese sind darauf angelegt, dass derjenige erfolgreich ist, der sich gegen Andere durchsetzt, dass wir uns immer stärker selbst optimieren und dies auch zur Schau stellen. Der Mensch ist auf sich selbst zurück geworfen und wird hierbei zum Selbstdarsteller.

Auch die sozialen Medien heizen den Narzissmus an. Auf Facebook und Co hat die selbstverliebte Selbstdarstellung ihren Höhepunkt gefunden. Ich frage mich immer wieder für wen sich die Menschen halten, wenn sie Ihrer gesamten Umwelt jeden Ihrer Schritte mitteilen und die privatesten Dinge offenbaren. Ist die ganze Welt daran interessiert, dass Hannes heute Schnitzel zum Mittag gegessen hat, dass Jackie nach dem Aufwachen Michel Jackson hörte und in welchem tollen Outfit Sandy feiern ging?

Jetzt mal ganz ehrlich: wen interessiert das? Und ist es nicht wert sich zu empören, wenn Menschen beginnen, sich mehr mit sich selbst zu beschäftigen anstatt mit der Frage, was auf der Welt passiert?

Die psychologische Forschung untersucht gerade, inwiefern die Funktionsweise sozialer Netzwerke Narzissmus und selbstzentrierte Verhaltensweise fördern oder gar erst hervorbringen. Herausgefunden haben sie bereits, dass der Hunger nach „likes“ süchtig macht. Diese Form der Bestätigung aktiviert im Gehirn dasselbe Areal wie stoffliche Drogen. Tatsächlich befördert die exzessive Nutzung sozialer Medien das Empfinden des Unglücklich Seins, da jede positive Rückmeldung per Mausklick, die Gier nach der nächsten nur erhöht, aber nie befriedigt.

Nicht anders Können – psychische Erkrankungen

Es gibt aber auch Menschen, die wollen anders handeln, können aber nicht. Menschen, die vielleicht gerade aufgrund ihrer Gabe mitzufühlen und besonders tief zu empfinden in die Fühllosigkeit gleiten. Die, um sich zu schützen, einen Panzer um sich bauen oder die gar an Depression erkranken.

Jeder siebte Deutsche ist im Laufe seines Lebens von Depression betroffen. Die Krankheit führt in Apathie und Gleichgültigkeit. J.K. Rowling beschreibt diese Krankheit bildhaft in „Harry Potter“. Die Dementoren sind Personifikationen der Erkrankung, schreckliche Wesen, welche von menschlichen Empfindungen leben und alles Glück aus der menschlichen Seele saugen.

Doch auch andere psychische Erkrankungen greifen im menschlichen Gehirn das Zentrum des Mitgefühls an und legen es lahm. Es kann ein Unfall mit einer Kopfverletzung sein wie im berühmten Fall von Phineas Gage, bei dem eine Eisenstange bestimmte Regionen des Gehirns beschädigte, wodurch eine Veränderung des Sozialverhaltens und ein Unvermögen zur Einfühlung hervorgerufen wurden. Aber auch eine Psychose oder Krisensituationen, wie Trauer oder Liebeskummer, welche in schweren Fällen mit ähnlichen Symptomen wie eine Depression einhergehen, können solche Folgen nach sich ziehen.

Das zentrale Motiv all dieser Tätigkeiten ist die Achtsamkeit.

Inzwischen gibt es Methoden, auch in Fällen schwerer psychischer Krankheit, Empathie wieder zum Leben zu erwecken und Mitgefühl zu lehren. Dies geschieht im Labor durch Simulation bestimmter Gehirnregionen. Aber es geht auch einfacher und alltagstauglich. Das Lesen ist die einfachste und eine der wirksamsten Methoden: durch das Lesen fiktionaler Texte versetzen wir uns in andere Figuren und Menschen, wir trainieren quasi unser Mitgefühl. Auch das gedankliche Beschäftigen und gemeinsame Diskutieren über Dilemmasituationen und ethische Probleme schärft unseren ethischen Kompass. Interessanterweise haben Studien zudem gezeigt, dass auch das gemeinsame Musizieren oder das bewusste Musikhören sensibler für die Umwelt und den Gegenüber macht und unsere Wahrnehmung und unser Fühlen schärft.

Das zentrale Motiv all dieser Tätigkeiten ist die Achtsamkeit. Eine Fähigkeit, die auch in der Meditation geschult wird. Sie bezeichnet das bewusste Wahrnehmen des Ich genauso wie die umgebende Welt. Darauf fußend wird auch der empathische und respektvolle Umgang mit sich und Anderen – kurz die Überwindung der Acedia – entwickelt.

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