Die japanische Kultur bürgt viele Schreckgestalten. Sie werden unter dem Namen Yokai und Yurei zusammengefasst. Doch was genau sind diese Monster? Wo steht der japanische Horror heute?? Diese Fragen versucht unsere Autorin (und Yokai-Fan) Saskia in diesem Beitrag zu beantworten.
Eine Gestalt in weißem Laken schwebt über den Gang. Sie ist lautlos und beinahe durchsichtig. Wir erkennen sofort, was es ist: Ein Gespenst. Aber, ganz ehrlich, das ist eine ziemlich westliche Vorstellung, wie Gespenster auszusehen haben. Je nach Kulturkreis ändern sich Aussehen und Eigenarten von Gespenstern und anderen Schreckgestalten. Über was wir uns erschrecken, hängt nicht nur von unseren Urängsten oder individuellen Ängsten ab, sondern auch davon, wie wir gelernt haben, uns zu gruseln. Vampirähnliche Wesen gibt es zwar so gut wie überall auf der Welt, aber ihr Aussehen und Verhalten unterscheiden sich stark. Wir denken oftmals nicht daran, dass es Unterschiede in der Darstellung solcher Wesen geben kann und nehmen unsere Vorstellung als selbstverständlich hin. Nur wenn wir Filme oder Bücher aus anderen Kulturkreisen konsumieren, fällt uns auf, dass der Horror dort anders dargestellt wird.
Verlassen wir Europa, setzen uns in den Flieger und kommen nach acht Stunden am Ziel an. Ich werde euch heute etwas über japanische Schreckgestalten und, am Rande, über den „japanese horror“ erzählen.
Warum ich das mache? Ganz einfach: Mich fasziniert die japanische Mythologie und für diverse Schreibprojekte, sowie für mein anstehendes Auslandsjahr in Tokyo habe ich mich eingestimmt und bin tief in die Welt der Yokai und Yurei abgetaucht.
Shinto und Buddhismus – Religionen in Japan
Die Vorstellung von phantastischen Wesen basiert in Japan sowohl auf dem Shintoismus als auch auf dem Buddhismus. Beides sind Religionen, welche in Japan praktiziert werden.
Shinto (wörtlich „Der Weg der Götter“) ist, sehr vereinfacht ausgedrückt, eine polytheistische Religion, welche sich auf das Leben im Diesseits, also in unserer Welt, fokussiert. Verehrt werden im Shinto Kami, was Götter, Naturphänomene, magische Relikte oder auch Ahnen sein können. Eine wirklich einheitliche Definition des Shintos gibt es nicht. Auch hat Shinto kein einheitliches religiöses Dogma oder eine religiöse Schrift wie die Bibel im Christentum. Stattdessen ist Shinto regional sehr unterschiedlich und allein die Shinto-Schreine, in denen die magischen Gegenstände aufbewahrt werden, haben einen einheitlichen Aufbau.
Shinto entstand aus verschiedenen Naturreligionen und war bis zum 5. Jahrhundert n. Chr. vorherrschend in Japan. Durch chinesische Mönche wurde der Buddhismus mitgebracht und schnell verbreitet. Besonders der auf einem enthaltsamen Leben basierende Zen-Buddhismus fand großen Anklang bei der Bevölkerung. So leitet sich beispielsweise der Samuraikodex von den Ansichten des Zen-Buddhismus ab.
Im Laufe der Jahrhunderte vermischten sich Shinto und Buddhismus, sodass in jedem buddhistischen Tempel auch ein Shinto-Schrein zu finden ist. Für die mythologische Vorstellungswelt – und damit auch die verschiedenen Schreckgestalten – bedeutet das, dass sich in ihnen die Vorstellungswelten des Buddhismus und Shintoismus vermischen, was auch die enorme Vielfalt erklärt.
Yokai – was soll das denn sein?
Yōkai sind Figuren des japanischen Volksglaubens und entfernt mit Dämonen vergleichbar. Sie werden auch Mononoke genannt und sind eine Teilgruppe der Obake. Zu den Obake gehören auch die Yurei.
Yōkai besitzen übernatürliche Kräfte, so dass Begegnungen mit ihnen gefährlich sind. Sie sind oft auch von undurchsichtigen Motiven und Plänen getrieben.
Einige Yōkai vermeiden Kontakt mit Menschen und leben in unbewohnten, abgesonderten Gebieten weit entfernt von menschlichen Behausungen. Andere wiederum leben bei menschlichen Siedlungen, weil sie von den Menschen oder der Wärme menschlicher Häuser durch Feuer angezogen werden. Yōkai werden oft in ebenso belustigenden wie schrecklichen Formen abgebildet. Durch Waffen sind die meisten Yōkai nicht verwundbar, aber shintoistische Exorzisten oder buddhistische Mönche besitzen die notwendigen Kräfte, um sie zu bekämpfen.
Yokai ist ein breiter Begriff, der sehr viele verschiedene Wesen umfasst. Man kann die Yokai ganz grob in folgende Arten unterteilen: Tierische Yōkai, wie den Tanuki oder den Kitsune, die Oni (eine Art von menschenfressenden Dämon), die Tsukumogami (belebte Gegenstände) und Yokai, die nicht in diese Kategorie passen. Die Einteilung ist also nicht ganz so leicht und wird dadurch erschwert, dass es einfach so viele Wesen gibt, auf welche diese Beschreibung passt.
Zu meinen Lieblings-Yokai gehören übrigens der Tanuki – ein gestaltwandelnder Marderhund –, der Kitsune – ein gestaltwandelnder Fuchs – und die Nekomanta – eine zauberbegabte Katze. Es gibt aber auch ganz skurrile Yokai, wie beispielsweise den Akaname, der sich in Toiletten aufhält und dort Menschen erschreckt. Auch die Futakuchi Onna, eine Frau, die am Hinterkopf einen zweiten Mund hat, und Ashiarai Yashiki, ein riesiger Fuß, der nachts im Zimmer auftaucht und gewaschen werden will, unterschieden sich doch sehr von unserer Vorstellung von Dämonen und Schreckgestalten, oder?
Yurei, die japanischen Gespenster
Yūrei, was „dunkler Geist/Seele“ heißt und Bōrei, was „Verstorbenengeist/-seele“ bedeutet, sind japanische Gespenster. Wie dem uns bekannten westlichen Gegenstücken bleibt ihnen wegen bestimmter Ereignisse ein friedliches Leben nach dem Tod verwehrt. Dies kann entweder durch das Fehlen eines ordentlichen Begräbnisses oder Suizid zustande kommen. Yūrei erscheinen typischerweise zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang und schweben umher, um diejenigen zu ängstigen und zu quälen, die ihnen dies antaten, jedoch ohne Schaden anzurichten.
Traditionell sind Yūrei Frauen in weißem Kimono, der typischen Begräbniskleidung im alten Japan. Sie besitzen keine Beine und werden häufig umgeben von einem Paar aus schwebenden Flammen oder Irrlichtern in schaurigen Farben, wie Blau, Grün und Lila, dargestellt. Yūrei haben oft ein dreieckiges Papier- oder Kleidungsstück auf ihrer Stirn, das Hitai-Eboshi. Einige werden mit langem schwarzen Haar dargestellt. Wie viele Monster der japanischen Mythologie können bösartige Yūrei mit Ofuda, heiligen Shintō-Zetteln, abgewehrt werden.
Neben den Yurei, die nur Leute erschrecken, gibt es auch bösartige Formen und Rachegeister, welche oftmals nur durch einen buddhistische Priester gebannt werden können.
Zu meiner absoluten Lieblings-Yurei gehört übrigens Oiwa. Diese Yurei ist der Geister einer Frau, die ein sehr tragisches Ende gefunden hatte.
Hyakumonogatari Kaidankai: Das Geisterspiel
Bekannt wurden die Yurei und Yokai vor allem durch Geschichten. Es gibt viele japanische Geistergeschichten, die erzählt werden und schon im 17. Jahrhundert gab es ein beliebtes Gruselspiel, welches gerne von adligen Menschen gespielt wurde: das Hyakumonogatari Kaidankai. Übersetzt bedeutet das ungefähr „Die Zusammenkunft der einhundert Geistergeschichten“ und genau darum ging es.
Sobald es dunkel wurde, bereitete man drei Räume in einem Haus vor und entzündete einhundert Andon, japanische Lampions. Die Teilnehmenden des Spiels versammelten sich im ersten Raum. Hier erzählte jede Person eine Geschichte über eine Begegnung mit dem Bösen oder eine Nacherzählung einer bekannten Geschichte. Diese Art von Geschichten werden in Japan übrigens „kaidan“ genannt. Jede Person, die eine Geschichte erzählt hatte, ging dann durch den zweiten Raum in den dritten Raum. Dort musste sie in einen Spiegel sehen und eine der Lampions löschen. Dann ging es wieder zurück zur Gruppe. Es wurden mehr und mehr Geschichten erzählt bis nur noch ein Lampion leuchtete. Diesen traute sich niemand zu löschen, denn sonst hätten sie einen Geist herbeigerufen.
Dieses Spiel war so beliebt, dass die erzählten Geschichten, welche sich in groben Zügen immer wieder ähnelten, aufgeschrieben wurden. Auch heute noch nehmen Serien, Filme und Bücher Bezug auf das Spiel, welches ich mir schon ziemlich gruselig vorstelle.
Yokai und Yurei in der Popkultur heute aka „japanese Horror“
Was bleibt heute noch von diesen Schreckgestalten? Sehr viel. Die japanische Kultur rezipiert sie immer und immer wieder. Sie kommen in Filmen, Mangas, Animes und Bücher vor. Dazu gehören beispielsweise: die Animeserie Ge Ge Ge no Kitarō, in welcher Yokai bekämpft werden müssen (und in der Yokai übrigens sehr gut dargestellt werden und viele verschiedene Arten vorkommen). Andere bekannte Manga und Anime, in denen Yōkai eine wichtige Rollen spielen, sind Urusei Yatsura, in dem die Hauptfigur eine weibliche Oni ist, und Inu Yasha, das von einem Han’yō (Halbdämon) handelt und im mittelalterlichen Japan spielt, sowie Pom Poko, ein Film über Tanuki in der heutigen Welt, die von der Zivilisation bedroht werden und in dem auch Kitsune vorkommen. Auch andere Studio Gibli Filme, wie Prinzessin Mononoke, in der viele tierische Yōkai eine Rolle spielen, und Chihiros Reise ins Zauberland, in dem die Hauptfigur in einem Badehaus voller Götter und Yōkai arbeitet, sind voll von Yokai.
Das sind aber alles noch relativ ungruselige Beispiele für Schreckensgestalten in der japanischen Popkultur. Ganz anders sieht es aus, wenn wir uns dem Horror zuwenden. Der japanische Horror wird auch als „japanese horror“ bezeichnet und bricht mit den Erwartungen von westlichen Zuschauenden. Besonders ist, dass der „japanese horror“ eben genau auf den Yokai- und Yurei-Geschichten und dem Hyakumonogatari Kaidankai basiert. Dementsprechend greifen viele Horrorfilme und -bücher diese Geschichten wieder auf. Auch ist diese Art von Horror mehr psychologischer Art und nicht voller Jump Scares, wie in anderen Kulturkreisen. Es geht vor allem, um Geisterhäuser oder den Zusammenbruch von Familien. Dies kann übrigens auch kulturell erklärt werden: In Japan ist Loyalität zu Vorgesetzten und die Familie sehr wichtig, dementsprechend ist das Auseinanderbrecher dieser Strukturen besonders gruselig. Auch spielt in Japan der Bodyhorror, als Schrecken am eigenen Körper, eine große Rolle, was für mich zu manch ekligen Szenen geführt hat.
Am bekanntesten in der westlichen Filmszene dürfte die Filmreihe „The Ring“ (1998) sein. Dieser Film hat sicher unser Bild vom „japanese horror“ geprägt. Andere Filme oder Mangas, die ich empfehlenswert sind, sind: Uzumaki, J-Horror Theater oder Dark Water.
Mein kleiner Tipp: Schaut euch erstmal Ausschnitte an und seht, ob für euch die Filme in Ordnung sind. Ich fand sie an manchen Stellen schon sehr gruselig.
Als Unterkategorie des „japanese horror“ sind natürlich noch die Zombie-Adaptionen in den verschiedenen Medien und die Kaiju-Filme – allen voran Godzilla – zu nennen und zu empfehlen.
Insgesamt bietet die japanische Kultur für Gruselfans sehr viel Potential, Neues und Innovatives zu entdecken. Ich habe noch lange nicht alle Yokai und Yurei kennengelernt und werde mich auf jeden Fall weiter damit beschäftigten. Und wer weiß, vielleicht schaffe ich es ja einmal bei einem Hyakumonogatari Kaidankai mitzumachen? Nur darf dann nicht vergessen werden, das letzte Licht brennen zu lassen – ihr wisst ja, was sonst passiert….