Ausschnitt aus dem Cover von "Nicht tot zu sein ist noch kein Leben" von Lou Bihl: Vor einem blauen Sternenhimmel steht eine weiße Blume. Auf einem der Blütenblätter sieht man eine kleine rote Frauenfigur.

Über das Sterben – und das, was im Leben wirklich zählt

„Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“ von Lou Bihl thematisiert Sterben, Selbstbestimmung und Menschenwürde auf eindrücklich stille Weise – ohne Pathos, aber mit Tiefe.

Manche Bücher erwischen einen nicht nur mit ihrem Thema, sondern auch mit der Art, wie sie es erzählen. „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“ von Lou Bihl ist so ein Buch. Es konfrontiert – und begleitet gleichzeitig. Es spricht aus, was sonst oft verschwiegen wird. Und es öffnet einen Raum, in dem man als Leser*in nicht nur nachdenken, sondern auch fühlen darf.

Der Inhalt von „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“

Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen, zwei Leben – und eine Freundschaft, die sich durch Zeiten, Umwege und Schicksalsschläge zieht. Marlene erhält mit Anfang 50 eine unheilbare Krebsdiagnose. Sie wendet sich in ihrer Verzweiflung an ihre langjährige Freundin Helene – die gleichzeitig auch ihre Ärztin ist – mit der Bitte, ihr zu helfen, sollte ihr Leben irgendwann unerträglich werden.

Was folgt, ist kein Drama im klassischen Sinne. Es ist ein tiefgründiger, ruhiger und feinfühliger Roman, der uns als Leser*innen einlädt, über Themen wie Sterben, Selbstbestimmung und Menschenwürde nachzudenken – ohne belehrend zu sein. Der Klappentext verspricht, das Buch handle vom Sterben und feiere dennoch das Leben. Und genau das ist es, was Lou Bihl gelingt – mit erstaunlicher Leichtigkeit und großer Achtung vor der Thematik.

Lou Bihl nähert sich dem Thema des assistierten Suizids mit großer Ruhe und menschlicher Tiefe. Sie erzählt nicht von einem Skandal oder einem Tabubruch, sondern von einer sehr persönlichen, existenziellen Entscheidung: Was bedeutet ein würdevoller Abschied, wenn das Leben zur Qual wird? Der Roman stellt dabei keine Thesen auf, sondern eröffnet einen Raum für Mitgefühl, Auseinandersetzung und die Frage nach echter Selbstbestimmung am Lebensende.

Die Figuren in „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“

Die Geschichte lebt von der Dynamik zwischen Marlene und Helene. Es ist keine einfache Freundschaft – es gibt Brüche, Schweigen, Grenzübertritte. Und genau das macht sie so glaubwürdig. Auch wenn ich persönlich nicht mit jeder Entscheidung der Figuren mitgehen konnte, hatte ich nie das Gefühl, sie würden mir fremd bleiben. Besonders Helenes innerer Konflikt, ihre Zerrissenheit zwischen Beruf und Beziehung, wird spürbar – wenn auch manchmal ein wenig zurückhaltend erzählt.

Die Nebenfiguren, wie Helenes Mann, haben mich in ihrer stillen Stärke beeindruckt. Manche Verwicklungen, wie das Verhältnis zu Marlenes Ehemann oder die Geschichte rund um Marlenes Schwester, hätten für meinen Geschmack noch etwas mehr Raum vertragen.

Die Sprache von Lou Bihl

Lou Bihls Sprache ist klar, schnörkellos und doch voller Wärme. Sie findet einen Ton, der nicht beschönigt, aber auch nicht erschlägt. Besonders gut gefallen haben mir die eingeflochtenen E-Mails – sie öffnen kleine Fenster in das Innenleben der Figuren und lockern die Struktur angenehm auf.

Ein Glossar im Anhang erklärt medizinische Begriffe – für mich ein schöner und hilfreicher Bonus, der zeigt, wie nahbar und durchdacht das Buch aufgebaut ist.

Mein Fazit zu „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“

„Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“ ist kein Buch, das einfache Antworten liefert. Und genau das macht es so wertvoll. Es stellt Fragen, die uns alle früher oder später betreffen. Es traut sich dahin, wo viele lieber wegsehen.

Ich habe die Lektüre als zutiefst bereichernd empfunden. Ich bin nicht nur mitgegangen, ich habe mitgedacht, mitgefühlt – und am Ende auch Abschied genommen. Für alle, die sich mit den Themen Leben, Freundschaft, Sterben und Selbstbestimmung auseinandersetzen wollen, ist dieses Buch ein feinfühliger, intensiver Begleiter. Und für mich ganz klar: eine Empfehlung von Herzen.

Lou Bihl – die Autorin

Lou Bihl, 1951 in Freiburg geboren, ist Ärztin und Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Artikel und Buchbeiträge. Durch die langjährige Betreuung von Krebspatient*innen lernte sie auch die Komplexität der menschlichen Psyche gut kennen. Seit dem Rückzug ins Privatleben widmet sie sich dem Schreiben und hat bereits mehrere Erzählbände und Romane veröffentlicht.

Lou Bihl: „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“ ist erschienen im Unken Verlag
Gebundene Ausgabe: 22,00 € – 978-3949286131
E-Book-Ausgabe: 16,99 € – 978-3949286148

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