Der Weltuntergang muss nicht gleich die ganze Menschheit betreffen. Es gibt einige Dinge, die deine ganz eigene Apokalypse auslösen können. So kann es zu deiner persönlichen Hölle werden, wenn du ignoriert wirst. Doch weshalb ist es für uns so grauenhaft, ausgeschlossen zu werden?
Fast schon unbewusst greift deine Hand nach dem Handy, wie von selbst schalten deine Finger das Display an. Zunächst wagst du es nicht, einen Blick auf den leuchtenden Bildschirm zu werfen, doch dann musst du doch hinsehen. Das verzweifelte Gewühl der Hoffnung, welches du für einen Augenblick empfunden hast, zersplittert schmerzhaft in tausend kleine Scherben. Keine neue Nachricht. Dennoch, obwohl du weißt, dass es aussichtslos ist, entsperrst du den Bildschirm, öffnest Whatsapp und gehst in den betreffenden Chat. Die letzte Nachricht stammt von dir, schon vor drei Tagen abgesandt. Die zwei blauen Häkchen leuchten dir höhnisch entgegen, die Nachrichteninfo zeigt dir, dass deine Nachricht nur zehn Minuten, nachdem du sie abgeschickt hast, gelesen wurde. Zuletzt online: vor zwei Minuten.
Weshalb hast du keine Antwort bekommen? Zeit ist doch genug gewesen, selbst wenn die Person beschäftigt gewesen sein sollte. Es hätte nicht mehr als eine Minute gedauert, eine Antwort zu tippen! Offenbar bist du der Person nicht einmal eine einzige, verdammte Minute wert! Womit hast du das verdient? Was hast du getan? Als würdest du nicht existieren oder wärst so wenig wert, dass man dir nicht antworten zu brauche.
Du weißt, dass du eigentlich nicht mehr hoffen brauchst. Im Grunde genommen ist dir klar, dass du keine Reaktion mehr bekommen wirst. Es wird keine Nachricht geben. Und dennoch ist da neben der Verzweiflung und der Wut noch ein kleiner Funken Hoffnung. Nach wenigen Minuten wiederholst du das Spiel. Der beinahe ängstliche Blick auf das Display, die Enttäuschung, keine Nachrichteninfo bekommen zu haben. Die düsteren Gedanken, wertlos zu sein. Ignoriert zu werden.
Kommt dir die Situation nicht bekannt vor, hast du wirklich Glück gehabt. Ignoriert zu werden ist eines der grauenhaftesten Gefühle, die wir empfinden können und mit das Schlimmste, was man empfinden kann. Niemand möchte gerne ignoriert werden.
Was löst es in uns aus, wenn wir ignoriert werden?
Das, was wir bei dieser Art Ablehnung und Zurückweisung empfinden, wird als „sozialer Schmerz“ bezeichnet. Der Definition nach entsteht der „soziale Schmerz“, wenn unsere sozialen Bindungen bedroht oder verletzt werden, wie es bei Ausgrenzung, Zurückweisung und Ablehnung der Fall ist. Der Schmerz, welcher psychische Vorgänge in uns auslöst, ist ebenso stark, wie tatsächlicher körperlicher Schmerz. Nicht nur unser Geist leidet, wenn wir uns ausgegrenzt, abgelehnt oder ignoriert fühlen, sondern auch unser Körper.
Wir sind verzweifelt, da wir nicht verstehen, weshalb wir auf einmal wie Luft behandelt werden; sind wütend, weil wir existieren und auch wahrgenommen werden möchten. Wenn wir aus einer Gruppe ausgegrenzt werden, fühlen wir uns, als seien wir nichts wert. Aber gleichzeitig löst es körperliche Schmerzen in uns aus. Das sprichwörtliche Herz, welches zu bricht, die eisenharte Hand, die sich fest um unsere Kehle schließt oder das Bleigewicht, welches auf unserem Brustkorb oder den Schultern ruht und uns ganz langsam zusammenbrechen lässt.
Doch weshalb ist das so? Warum ist es für den Menschen beinahe unerträglich, ignoriert zu werden?
Die Ursachen des „Sozialen Schmerzes“
Die Gründe liegen in der Evolution bedingt und haben tatsächlich eine wichtige Funktion. In der Steinzeit war es für die frühen Menschen überlebenswichtig, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Den Angriff eines wilden Tieres überlebte man nicht, wenn man auf sich alleine gestellt war, die Kälte und das raue Wetter konnte man nicht überstehen. In einer Gemeinschaft jedoch kümmerte man sich umeinander, man sorgte für jene, die nicht alleine auf sich achten konnten. Die Gemeinschaft bot Schutz, Sicherheit und eine größere Chance, zu überleben.
Die Menschen mussten sich dem Leben in einer Gemeinschaft anpassen, um nicht von einem wilden Tier gerissen zu werden oder zu erfrieren. Wem es keine Schmerzen verursachte, aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, war nicht gut genug angepasst und konnte nicht lange überleben.
Bis heute hat unser Gehirn nicht verlernt, was aus überlebenswichtigen Anforderungen in unserer frühesten Geschichte entstand. Es schmerzt noch immer, wenn wir unsere sozialen Bindungen verlieren oder diese als bedroht empfinden, auch wenn es heutzutage keine Bedrohung für unser Leben bedeutet. Die Evolution hat uns gelehrt, dass wir nur in einer Gemeinschaft überleben können. Zurück bleibt der „Soziale Schmerz“.
Warum werden wir ignoriert?
Werden wir ignoriert, hat das meist tatsächlich den Grund, uns zu verletzen. Egal ob als Bestrafung für einen Streit zwischen Freunden oder in der Familie, um einen Mitschüler zu drangsalieren und zu mobben oder einfach nur, um einer Person, die man nicht ausstehen kann seine Verachtung deutlich zu machen. Ausgrenzung und Zurückweisung ist niemals positiv gemeint und verletzt den Betroffenen zutiefst.
Nicht umsonst ist im Strafvollzug das vollständige Isolieren einer Person eine bewährte Strafmaßnahme. Dem Betroffenen wird jede Möglichkeit genommen, mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten, ihm wird jede menschliche Nähe und Kommunikation verweigert. Das ist eine der schlimmsten Strafen, denen man einen Menschen unterziehen kann und kann als Folter missbraucht werden.
Was tun, wenn man ignoriert wird?
Im Grunde genommen gibt es nichts, was du tun kannst. Du kannst dir zwar sagen, dass es andere Gründe hat, warum eine geschätzte Person dich plötzlich nicht mehr beachtet, dir nicht mehr auf deine Nachrichten antwortet, oder weshalb deine Freunde dich auf einmal ausschließen. Doch wenn sie dich ignorieren, wirst du ohnehin keine Antwort erhalten. Es gibt auch keine Möglichkeit, wie du den Schmerz erträglichere und die Verzweiflung geringer machen kannst.
Natürlich kannst du dir sagen, dass die schmerzhaften, grauenhaften Empfindungen nichts weiter sind, als ein bloßes Überbleibsel der Evolution, entstanden aus einer Notwendigkeit, die heute nicht mehr wichtig ist. Doch der Schmerz bleibt dennoch.
Es bleibt also nur zu hoffen, dass Du niemals in eine Situation geraten wirst, indem die Menschen ignorieren, die dir wichtig sind.