Aber bitte mit Feeling | Ein Interview mit einer demisexuellen Person

Eine Partnerschaft, eine Beziehung – das bedeutet für viele die ganz großen Gefühle. Für Tim heißt es vor allem eins: Zeit und Vertrauen. Tim ist demisexuell, das bedeutet, er fühlt erst sexuelle Anziehung zu einer Person, wenn eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut ist. Im Interview erzählt er uns, wie er den Begriff für sich entdeckt hat, und was dies für Auswirkungen bei der Partnersuche hat.

Wer bist du? Wie würdest du dich einer freundlichen fremden Person vorstellen?

Hallo. Ich bin Tim, bin 26 Jahre alt, er/ihm und komme gerade von der Uni. Ich mache viel mit Computern, sei es im Berufsleben oder für meine Hobbys. Meine Freizeit verbringe ich größtenteils mit Freunden im Internet oder, wenn die ganze Pandemie mal vorbei ist, auch endlich einmal wieder in Person. Alternativ koche ich gerne, bevorzugt Speisen aus anderen Kulturen, oder befasse mich mit meinen anderen Beschäftigungen wie Lockpicking, Pen and Paper, Politik und darüber streiten, und was man sonst so an Hobbys ansammelt, wenn man ein Studierender mit zu viel Zeit ist.

Und heute bin ich hier, weil ich gebeten wurde, darüber zu erzählen, was ich in den letzten Monaten so über mich herausgefunden habe.

Genau, denn du identifizierst dich als demi – also demisexuell, richtig? Wann und wie bist du zum ersten Mal mit dem Begriff Demisexualität in Berührung gekommen?

Richtig. Das ist tatsächlich eine längere Reihe von Ereignissen, zu der ich später noch mehr erzählen kann. Generell kannte ich den Begriff schon länger. Ich beschäftige mich viel mit der queeren Szene, einerseits, weil ich viele Freunde habe, die sich schon länger dort zugehörig fühlen, andererseits aber auch weil es eine Szene von Menschen ist, die regelmäßig mit den gesamtgesellschaftlichen Normen zusammenstößt; etwas mit dem ich auch viel Erfahrung gemacht habe. Von daher waren mir der Begriff nicht neu. Wann genau ich ihn das erste Mal gehört habe, kann ich gar nicht sagen. Vermutlich, während ich mehr über Asexualität herausgefunden habe, da beides im gleichen Spektrum zu verorten ist.

Also fühlst du dich abgesehen von demisexuell noch einem anderen Spektrum zugehörig?

Über Asexualität kam ich überhaupt erst dazu, Demisexualität für mich in Betracht zu ziehen. Das war so: Anfang dieses Jahres, also 2021, habe ich ein Praktikum bei einem Verein zur Extremismusprävention gemacht und dabei unter anderem Sharepics, also Bilder zum Teilen im Internet, und ähnlichen Social-Media-Content erstellt. Über Reddit oder Twitter oder sowas wurde ich dabei auf die gerade laufende Aro-Awareness-Week aufmerksam; eine Aktion der aromantischen Community dieses Label bekannter zu machen. Ich hatte eigentlich nur einen einfachen Witz darüber geplant wie Word das Wort “aromantisch” nicht kennt, wollte dann aber erst einmal herausfinden, wovon ich da rede – wie man das so macht, wenn man versucht mit jemandem zu lachen, anstatt über jemanden.

Und während dieser Suche danach, was Aromantik ist, waren viele der beschriebenen Erfahrungen und Eindrücke so bekannt und nachvollziehbar für mich, dass ich mich an eine Freundin aus der queeren Szene wandte, um mir mehr über dieses Themenfeld erzählen zu lassen. Dabei habe ich festgestellt, dass ich das ich mich selbst als Aromantisch bezeichnen würde, da der Begriff meine Erfahrungen sehr treffend widerspiegelt.
Während dieser Suche kam ich dann auch an dem Begriff der Demisexualität vorbei und fand den ähnlich passend für mich.

Wie hast du gemerkt, dass du eventuell demi bist? 

So eine Suche und Selbstentdeckung zieht so einiges an Recherche und Nachdenken nach sich, was wohl niemanden überraschen dürfte. Man vergleicht die vergangenen Erfahrungen mit dem, was der wahrgenommenen “Norm” entspricht und sucht die Unterschiede heraus, die einem bisher nicht klar geworden waren, oder für die man keine Beschreibung hatte. 

Für Fragen zu Romantik und später Sexualität habe ich mich einfach direkt an die bereits erwähnte Freundin gewandt und sie konnte mir mit Informationen zu den verschiedenen Orientierungen innerhalb dieser Spektren von aromantischer und asexueller Anziehung weiterhelfen. Die Demisexualität zu finden war dabei eher ein Domino-Effekt. 

Ich habe diese Begriffe gefunden, die mir helfen meine Art und mein Wesen besser zu beschreiben und anderen zu kommunizieren. Es war tatsächlich sehr hilfreich in der Partnersuche, da ich mit Hilfe dieser Begriffe klarer ausdrücken kann, was ich erwarte und was von mir zu erwarten ist. 

Was bedeutet es für dich, demisexuell zu sein? Wie erklärst du es anderen, wenn sie fragen?

Die Definition, nach der ich mich richte, definiert es folgendermaßen: “Demi(romantisch/sexuell): Anziehung kann entstehen, nachdem emotionale Intimität aufgebaut wurde.

Natürlich muss man dafür auch das Konzept erklären, dass es verschiedene Formen der Anziehung gibt. Aber ich denke, das würde hier ein wenig den Rahmen sprengen, deshalb verweise ich einfach auf das Split-Attraction-Model. In diesem Interview beziehe ich mich übrigens exklusiv auf romantische und sexuelle Anziehung.

Ich brauche eine vorhandene, bevorzugt längerfristige Beziehung und vorhandenes Vertrauen, um mit einer Partnerin intim zu werden. Das ist etwas, das ich auch von Menschen gehört habe, die sich nicht als demisexuell bezeichnen. Auch deshalb nutze ich den Begriff vor allem als Fachbegriff in Kreisen, in denen ich davon ausgehe, dass er bekannt ist oder in denen danach gefragt wird. Es ist eine einfache Art, ein komplexes Thema in seinen Grundzügen zu vermitteln, wie alle Fachbegriffe.

Warst du, bzw. bist du denn in einer Beziehung? Und wie beeinflusst es Beziehungen, bzw. potenzielle Beziehungen und das Dating? 

Ich war in mehreren Beziehungen, bevor ich die beiden Begriffe für mich angenommen habe, und bin es gerade auch wieder. Tatsächlich bin ich gerade in einer Poly-Beziehung, etwas, das ich früher gar nicht für mich in Betracht gezogen hätte.
Und was Dating betrifft: Gerade Aromantik beeinflusst das enorm, aber ich vermute, dass auch die Demisexualität ihren Teil tut. Soweit ich das beurteilen kann, entstehen Beziehungen oft, wenn eine der beiden (meist sind es ja zwei) Partner*innen sich in die oder den andere*n verliebt und dann die Beziehung in eine romantische Richtung lenkt. Als jemand, der keine romantische Anziehung oder spontane sexuelle Anziehung erlebt, kann ich sagen, dass mir dieser Weg ein vollkommenes Mysterium ist. Ich habe es zwar bereits bei Freund*innen beobachten können, und auch einige Berichte gelesen von Menschen, die ihre Erfahrung zur Verfügung gestellt haben. Aber wenn dieser Schritt des Verliebens ausbleibt, führen auch Datingapps und alle Mühen nicht, wenn man nicht eine (oder mehr) Partner*in findet, die mit dieser Einschränkung umgehen kann.
Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass meine Erfahrung als demi/aro bei weitem nicht universell ist und jede*r Demisexuelle und jede*r Aromantische andere Wünsche und Vorstellungen hat. Ich für meinen Teil wünsche mir eine Beziehung in meinem Leben, auch wenn sie unkonventionell ist.

Es scheint, das hast du momentan ja erreicht!

Eindeutig, ja! Nach vielen Jahren der vergeblichen Suche und der Frage, woran es liegt, habe ich beides jetzt abschließen können.

Wie waren die Reaktionen in deinem Umfeld, also von Familie und Freunde – Gab es da großen Erklärungsbedarf? Du meintest ja, dein Umfeld ist ziemlich divers.

In meinem Freundeskreis war es tatsächlich kein Problem. Da gibt es so viele Asexuelle oder sonst wie queere Personen, und keine Menschen, die diese Art von Selbstidentifikation nicht dogmatisch-ideologisch ablehnen. Von daher war es kein Problem, abseits davon, den Begriff gelegentlich zu erklären.
In meiner Familie gab es da schon mehr Fragen, besonders zu meiner Beziehung. Aber die sind es gewohnt, dass ich Dinge außerhalb der Norm tue, da war es vor allem Neugierde über meine Partnerinnen und wie diese Dynamik funktioniert.

Hast du mit deiner Sexualität, bzw. Asexualität/Demisexualität auch schonmal schlechte Erfahrungen gemacht, also negative Erlebnisse oder Vorurteile, die dir da entgegengebracht wurden?

Ich selber nicht, nein. Ich erzähle das aber auch nur, wenn es notwendig ist.
Vielleicht kommt das auch daher, dass die Pandemie uns alle zu Hause hält, aber im “echten Leben” außerhalb des Internets bin ich noch überhaupt keiner Reaktion dazu begegnet.
Im Gegensatz zu anderen Teilen der LGBTQI+-Community fallen asexuelle und aromantische Menschen kaum auf und brechen auch weniger mit den gesellschaftlichen Erwartungen. Es gibt die üblichen Stimmen im Internet, aber auch das ist bei weitem nicht so schlimm, wie das was beispielsweise Trans-Personen abbekommen.
Wenn ich wirklich etwas Negatives erzählen wöllte, könnte ich darauf hinweisen, wie sehr Medien und Gesellschaft von der Erwartung an eine heteronormative Beziehung geprägt sind. Das ist etwas, das nur umso mehr auffällt, wenn man sich selbst einer dieser nicht-repräsentierten Gruppen zuordnet und lange versucht hat, den vermittelten Erwartungen nachzukommen.

Hat dich das in deiner sexuellen Selbstfindung verunsichert?

Sexuell nicht so sehr, ich denke mehr Zeit zu brauchen ist etwas, das eher akzeptiert ist. Aber allein die Möglichkeit, sich nicht zu verlieben, ist beispielsweise etwas, das mir früher nie in den Sinn gekommen wäre und was mir eine jahrelange Suche nach “der Einen” eingebracht hat, mit allen dazugehörigen Selbstzweifeln und Versuchen, andere Wege zu finden.

Jetzt stellt sich der ein oder andere vielleicht die Frage, wieso du trotz deiner Demisexualität und Asexualität eine Beziehung möchtest?

Das hängt mit den bereits kurz erwähnten Split-Attraction-Model zusammen. Kurze Theoriestunde: Dem SAM zufolge lässt sich Anziehung in sechs verschiedene Arten aufteilen. Ästhetische, Sensuelle, Emotionale, Platonische, Romantische und Sexuelle Anziehung. Die meisten Menschen differenzieren nicht zwischen den verschiedenen Anziehungen, aber sie lassen sich sehr gut beobachten, wenn man sich ihrer bewusst ist. Asexuelle Menschen zum Beispiel empfinden keine sexuelle Anziehung, aber das heißt nicht zwangsläufig, dass sie keine romantische Anziehung empfinden. Wichtig ist außerdem, dass diese Anziehungen in einem Spektrum existieren, von ihrer schwächsten Ausprägung (bspw. Asexualität; also keinerlei sexuelle Anziehung) bis zur stärksten Ausprägung (also Allosexualität; “gewöhnliche” oder auch regelmäßige, starke sexuelle Anziehung).
Um also auch mal die Frage zu beantworten: Eine Beziehung besteht aus vielen verschiedenen Teilen, und einige davon möchte ich dennoch gerne erleben. Wir haben in unserer Beziehung eine Zusammenstellung gefunden, in der jede*r seine Bedürfnisse erfüllen kann, ohne dazu die unerwünschten Teile von Beziehungen auf sich nehmen zu müssen.

Hast du denn Ratschläge an Personen, die noch nicht so recht wissen, was genau sie sind, bezogen auf das Gender-Sexualitätenspektrum? Was würdest du dir selbst vor zwei Jahren sagen, bevor du deine Sexualität so richtig verstanden hast?

Was ich generell allen raten kann: denkt über euch selbst nach. Findet heraus, was am besten zu euch passt und welchen Labels ihr euch zuordnen wollt. Es gibt eine Art der Selbstsicherheit und des Selbstverständnisses, die sich daraus ziehen lässt, zu wissen, wer und was man ist. Und wenn das Ergebnis ist, dass man zufrieden mit sich selbst ist, so kann man sich wenigstens dessen sicher sein.
Ich weiß nicht, ob ich vor zwei Jahren schon die Person war, die mit den Informationen etwas hätte anfangen können. Ich lerne immer wieder neue Dinge über mich und über die Welt um mich herum. Das, was ich heute weiß und bin, kann in einigen Jahren die Grundlage für weitere Veränderungen sein, aber deshalb müssen diese Veränderungen nicht heute schon kommen. Ich würde mir sagen, dass ich weitermachen und durchhalten soll: Keine Panik, das wird schon irgendwie.

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