Das ist so eine Sache mit dem Labeln

Ich habe mich, seit ich 16 war und mich vor mir selbst geoutet habe, immer sehr stark gelabelt, doch seit ein paar Jahren tue ich das gar nicht mehr. Jetzt fange ich an mich zu fragen, wozu es überhaupt Label gibt und wieso wir uns selbst in Schubladen stecken.

Ich bin Teil der LGBTQI+ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, etc.) Community, und das auch schon seit über zehn Jahren, da beschäftigt man sich schon öfter mit seiner eigenen Identität und dazu gehören auch Label. Aber was ist das eigentlich? Label sind eine Art Etikett womit Menschen beschrieben werden können. Wie viele Begriffe der LGBTQI+ Szene haben wir uns diese Verwendung des Wortes aus dem Englischen abgeschaut.

Als ich mich mit 16 vor mir selbst geoutet habe, dachte ich das Label bisexuell passt gut zu mir. Bisexuell bedeutet für mich, einem gefällt mehr als nur ein Geschlecht. Doch das war nur meine Interpretation. Bisexuell hat früher bedeutet, dass man auf Frauen und Männer steht, doch mittlerweile weiß man mehr über Menschen, die sich nicht auf dem binären Geschlechterspektrum wiederfinden, und deshalb sagen viele, dass bisexuell mehr als zwei Geschlechter bedeuten kann. Und damit kommen wir auch zu einem Problem mit dem Labeln: Label bedeuten für viele Menschen verschiedene Dinge.

Ein paar Jahre nach meinem Coming-out, habe ich von dem Label „Pansexuell“ gehört, und mich damit lange identifiziert. Pan kommt aus dem Griechischen und bedeutet „alles“, einem ist also das Geschlecht der Menschen egal. Doch heute habe ich jegliche Label abgelegt. Ich bin einfach nur ich und ich identifiziere mich mit keinem Label mehr.

Es gibt nicht nur sexuelle Orientierung als Label

Doch es gibt nicht nur die sexuelle Orientierung, sondern auch die romantische. Viele wissen nicht, dass es da zu Abweichungen kommen kann. Es kann also sein, dass ein Mann homosexuell ist, aber biromantisch. Aber was bedeutet das?

Dieser Mann, kann romantische Gefühle für mehrere Geschlechter empfinden, jedoch nur eine sexuelle Anziehung zu anderen Männern. Man hört von solchen Abweichungen häufig von Leuten auf dem Spektrum der Asexualität, da diese Menschen oft trotz fehlender sexueller Anziehung, eine romantische Verbindung spüren können.

Label verändern sich ein Leben lang

Als ich 2016 einen Artikel über Asexualität schrieb, hatte ich also folgende Label: panromantisch, demisexuell, und Agender. Das sind komplizierte Worte dafür, dass mir das Geschlecht egal ist, ich ein Problem mit sexueller Anziehung habe, und, zu dieser Zeit, keine Zugehörigkeit für mein Geschlecht empfunden habe. Heute ist das aber anders. Heute sind mir Pronomen und Label egal. Schubladendenken ist für mich Humbug, ich kann aber nachvollziehen, wieso es für andere Menschen wichtig ist. Ich habe mich früher gerne in Schubladen gesteckt, weil dort noch andere Menschen mit ähnlichen Erfahrungen waren. Man fühlt sich so deutlich weniger allein, wenn der Freundeskreis fast nur aus Heteros und Cis-Leuten besteht (Cisgender = Mensch dessen Geschlechtsidentität mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmt).

Wie geht es anderen mit dem Thema?

Ich habe mich gefragt wie es denn den Menschen aus meinem Umfeld, die ebenfalls Teil der LGBT+ Community sind, mit dem Thema geht. Wir machen uns schließlich alle Gedanken darüber. Deshalb habe ich fünf Leute, Anfang bis Mitte 20, gefragt was ihnen Label bedeuten und wieso sie denken, dass Label wichtig sind.

Lisa, bi, aus Trier, sagt, dass ihr Label wichtig sind: „Ein Label kann Sicherheit geben und die Möglichkeit anderen Leuten etwas mit wenigen Worten über sich auszudrücken.“ Sie sagt auch, dass dieses Kategorisieren und Schubladendenken ja nicht immer negativ sein muss. Label nehmen uns unsere Unsicherheit, und gibt uns die Chance mit Gleichgesinnten zu kommunizieren. „Für mich persönlich ist es wichtig mich selber zu labeln, selbst wenn ein Label einen nicht 100 Prozent akkurat darstellen kann, ist es zumindest etwas an dem man sich selbst orientieren kann“, sagt Lisa. Aber bei anderen Menschen ist ihr das nicht wichtig.

Marco, bisexuell, aus Trier, sieht das ähnlich wie Lisa, nur für ihn ist das Label des Geschlechts wichtiger. Obwohl er Cisgender ist, und sich somit im angeborenen Geschlecht heimisch fühlt, sagt er, dass „man von klein auf damit aufgewachsen ist und es so die Persönlichkeit stärker geprägt hat.“ Bei der Sexualität ist es ihm aber nicht so wichtig. „Ich denke, wie alle finden uns irgendwo auf einem Spektrum wieder.“ Marco denkt, dass sich Label über die Zeit ändern können, man tendiert zwar zu einer Orientierung, „aber das muss anderes ja nicht ausschließen.“ Zu der Frage wieso es für andere Leute wichtig sein könnte sich zu labeln sagt er: „Ich glaube das liegt daran, dass wir unsere Umwelt vereinfachen wollen.“ Er spricht, wie Lisa auch, von Unsicherheit im Alltag und sagt, dass wir uns das Leben „erwartbarer“ machen wollen.

Anna, demisexuell, aus Trier, findet es gut, wenn sich Leute durch ein Label wohler fühlen. Sie selbst tut sich mit ihren eigenen Labeln schwer, was daran liegt, dass sie ihr nicht wichtig sind. Aber sie sagt auch etwas, worüber sich deutlich mehr Gedanken gemacht werden sollte. Für sie erwecken Label den Anschein, „dass es nicht normal ist“ und man dafür in eine Schublade gesteckt wird. Wenn es normal wäre sich so zu fühlen, bräuchte man ja auch kein Label, oder?

Mina, aus der Nähe von München, findet Label überflüssig. „Es wäre irgendwie viel einfacher ohne Label.“ Das ist auch mit ein Grund weshalb sie sich als „unentschlossen“ labelt. „Für die Leute, die sich immer noch nicht hundertprozentig sicher sind, ist diese ganze Label Sache einfach nur unnötiger Stress.“ Sie spricht auch das Thema an, dass nicht alle Orientierungen von der LGBT+ Community akzeptiert werden. Dazu gehören auch Bi- und Pansexualität. Viele Homosexuelle Menschen halten sich von anderen mit dieser Orientierung fern, da es Vorurteile ihnen gegenüber gibt, wie zum Beispiel, dass es nur eine Phase sei, oder bisexuelle Personen nicht treu sind. Mina findet, man sollte Labeln ein Stück ihrer Kraft nehmen „damit die Leute anfangen können sich wohl zu fühlen und sich zu akzeptieren, wie sie sind, auch wenn sie sich nicht für ein Label entscheiden können.“ Sie plädiert dazu Überbegriffe wie „queer“ oder „gay“ gängiger zu benutzen, damit klar ist, eine Person ist nicht hetero, aber sie nicht in eine Schublade gesteckt wird.

Isabelle, pansexuell, aus der Nähe von Frankfurt a.M., findet Label ein schwieriges Thema. „Viele fühlen sich dadurch wohler und verstandener, habe ich das Gefühl“, sagt sie. Auch für sie geht es um Zugehörigkeit. Gleichgesinnte werden leichter gefunden und mit ihnen fühlt man sich verstandener. Aber auch sie spricht das Thema der „Bi-Phobie“ an. „Innerhalb der LGBTQ+ Szene gibt es leider auch Leute, die bestimmte Label ausgrenzen,“ weshalb sie hier findet, dass Label keine positive Behaftung haben.

Label sind ein kompliziertes Thema

Es ist also kein einfaches Thema, wieso wir uns Labeln. Zumindest in meinem Umfeld, sind Label nicht oft von großer Wichtigkeit oder Bedeutung, man versteht wieso sich andere Personen ein Label geben, und die Meisten meiner Freunde und Bekannten tun das ja auch, aber der Konsens scheint mir, dass wir Anderen das Leben einfacher machen wollen und einfach Leute zum Reden und Erfahrungen teilen brauchen.

Ich werde mir die Frage, wieso wir uns Labeln wahrscheinlich bis zum Ende meines Lebens stellen. Aber wieso auch nicht? So ein persönliches Thema bedeutet für jeden etwas anderes, und wenn ich die absolute Antwort haben will, müsste ich jeden Menschen auf der Welt fragen.

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