Wer kennt das nicht? Nach einer Woche mit vielen Terminen, wollen wir am liebsten das ganze Wochenende zu Hause verbringen. An manchen Tagen haben wir einfach keine Lust, das Haus zu verlassen. Wir werden zu Stubenhocker*innen. Doch ist das schlimm? Und was ist ein*e Stubenhocker*in überhaupt?
Durch Corona verbringen wir alle viel Zeit zu Hause. Das ist für mich teilweise etwas gewöhnungsbedürftig, denn sonst bin ich mindestens fünf Tage die Woche zur Hochschule gependelt oder war auch samstags unterwegs, um Erledigungen zu machen. Aber ich war noch nie eine große Partygängerin, stattdessen fand ich gemütliche Abende mit einem Film, einer Serie oder einem guten Buch viel besser. Ich lebe also teilweise nach dem Motto: „Zu Hause ist es doch am schönsten!“ Diesen Spruch kann man vielleicht auch als Wahlspruch der Stubenhocker*innen sehen. Und nun bin nicht nur ich durch Corona und das Abstandhalten zu einer Stubenhockerin geworden, sondern wir alle.
Was ist ein*e Stubenhocker*in überhaupt?
Gemeinhin wird als Stubenhocker*in eine Person bezeichnet, die gerne zu Hause sitzt und wenig rausgeht. Ein ähnliches Wort dafür ist Couchpotato, was aus dem amerikanischen Slang kommt. Auch Couchpotato stellt das Klischee einer Person dar, die ihre Freizeit größtenteils auf einem Sofa verbringt. Zu diesem Klischee gehört auch, dass wir uns Coachpotatoes oft als übergewichtig, Junkfood essend und Bier trinkend vorstellen. Homer Simpson aus der Serie Die Simpsons ist ein Beispiel dafür. Was beide Begriffen und Assoziationen gemeinsam haben, ist, dass sie eine negative Vorstellung beinhalten. Bei beiden Wörtern stellen wir uns eine eher faule Person vor, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommt, keine sozialen Kontakte hat und deshalb ihre Zeit nur mit sich selbst zu Hause verbringt.
Einen Schritt weiter geht die japanische Auffassung eines*er Stubenhockers*in. Dort werden sie Hikikomori genannt, was übersetzt „sich einschließen“ oder „gesellschaftlicher Rückzug“ heißt. Bezeichnet werden damit Menschen, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Diese menschliche Verhaltensweise hat sich zu einem soziologischen Phänomen ausgeprägt. Laut Studien lassen sich in Japan über eine Millionen Einwohner*innen zur Gruppe der Hikikomori rechnen. Dabei sind über die Hälfte zwischen 40 und 64 Jahre alt.
Doch warum gibt es Stubenhocker*innen?
Deutlich wird, dass wir den*ie Stubenhocker*in nicht positiv betrachten. Dabei kommt das Bedürfnis, das hinter den Verhaltensweisen des*er Stubenhockers*in steckt, aus unseren Grundbedürfnissen. Zu einem der Grundbedürfnisse zählt das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle – und diese Sicherheit kann unser eigenes zu Hause bieten. Es ist ein Ort, an welchen wir immer wieder zurückkehren können, der uns vertraut ist und den wir selbst schaffen können. An diesem Grundbedürfnis ist an sich nicht Schlechtes, doch warum werden Stubenhocker*innen so negativ dargestellt?
Vielleicht liegt der Grund darin, dass in unserer Gesellschaft das Bild vorherrscht, dass wir alle viele soziale Kontakte haben müssen. Wir sollen genauso aktiv sein, wie wir ständig erreichbar sein sollen. Auch in diesem Bereich unseres Lebens scheint der Wettbewerbsgedanke vorzuherrschen. Durch Filme, Serien oder die sozialen Medien werden uns perfekte Lebensläufe vorgeführt, denen wir nacheifern sollen. Da ist es schwierig, wenn wir einmal aus der Reihe fallen und uns von dieser Gesellschaft vielleicht manchmal aussperren oder die Zeit, mit ruhigen Aktivitäten genießen.
So weit verbreitet die negativen Vorurteile gegenüber Stubenhocker*innen sind, so verbreitet sind Stubenhocker*innen in Deutschland. Das ist auf jeden Fall die Meinung von Ulrich Reinhardt, dem wissenschaftlichen Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. „Außerhäusliche Aktivitäten finden deutlich seltener statt und sind eher das Freizeit-Highlight am Wochenende“, sagt Reinhardt. Sonst verbringen wir unsere Zeit vor allem mit Lesen, Heimwerken, Sport oder Gartenarbeiten.
Warum viele Menschen gerne Aktivitäten zu Hause unternehmen, erklärt Reinhardt damit, dass wir im Arbeitsalltag viele Pflichttermine haben, oftmals unterwegs sind und wir deshalb unsere Freizeit gerne zu Hause verbringen möchten.
Stubenhocker*in – gut oder schlecht?
Wenn wir von unserem Bedürfnis nach Sicherheit, Kontrolle und der Entschleunigung aus dem Alltag ausgehen, dann ist es vollkommen in Ordnung, zu Hause bleiben zu wollen. Wie sollen wir uns aber gegenüber den Vorwürfen von Freund*innen und Verwandten verhalten?
Zuerst einmal sollte jede*r von uns anerkennen, dass das Gefühl, zu Hause bleiben zu wollen, vollkommen legitim ist. Es ist unsere eigene Entscheidung, wenn wir ein*e Stubenhocker*in sein wollen. Wir müssen wissen, was uns Energie gibt und uns arbeitsfähig macht. Genießen wir einfach die Zeit, die wir zu Hause haben. Statt sich zu ärgern, wenn wir uns dumme Kommentare anhören müssen, sollten wir uns darauf konzentrieren, uns unsere Zeit daheim so schön wie möglich zu machen. Messe dich einfach nicht mit den Anforderungen von anderen, sondern mache das, was dir Kraft gibt.
Bekannte Stubenhocker
Das mag alles sehr esoterisch wirken, aber die Geschichte bestätigt: Stubenhocker sind erfolgreich. Einer der bekanntesten Stubenhocker ist Immanuel Kant. Er ist einer der bekanntesten Philosophen der Epoche der Aufklärung. Kant sagte selbst: „Alles Unglück in der Welt kommt daher, dass man nicht versteht, ruhig in einem Zimmer zu sein.“ Das sagt doch alles, oder? Seine Heimatstadt Königsburg verließ er nicht, da das Reisen den Geist verwirre.
Ein weiterer prominenter Stubenhocker ist Karl May, der sich selbst als Reiseschriftsteller verkaufte, aber ihn hinderte seine eigene Bequemlichkeit. Teure, unbequeme Hotelbetten oder ungenießbares, fremdes Essen waren dem Schriftsteller ein Graus. Deshalb ließ er nur seine Figuren reisen und fremde Welten entdecken.
Zuletzt noch ein literarischer berühmter Stubenhocker: Omblomow. Dieser russische Adlige aus dem gleichnamigen Roman von Gontscharow, treibt die Stubenhockerei auf die Spitze: Er steht nicht einmal mehr von seinem Bett auf und schiebt all seine Verantwortung weg. Nur das Tagträumen scheint für ihn wichtig zu sein.
Soweit müssen wir nun nicht gehen. Wir können auch sonst zu Hause uns die Zeit ohne schlechtes Gewissen gut vertreiben. Auf jeden Fall können wir bei der nächsten Diskussion Kant, May oder Omblomow anführen und mit Stolz sagen, dass das Klischee vom faulen Stubenhocker schon vor Jahrhunderten überholt war.
(Nach diesem Plädoyer für den*ie Stubenhocker*in werde ich mir einen Tee machen und mich mit einem Buch auf die Couch setzen.)