Früher war alles besser. Habt ihr euch sowas auch schon einmal von euren Großeltern oder Eltern anhören dürfen? Mit Sicherheit. Doch habt ihr euch das auch schon selber sagen hören? Mit Sicherheit. Dieser Spruch ist einer unserer Lieblinge und bestimmt jeder kam schon einmal irgendwie mit ihm in Kontakt. Aber warum neigen die Menschen so dazu sich in die Vergangenheit zu wünschen? War es denn wirklich so viel besser?
Besonders auffällig ist, dass dieser Satz tendenziell mit voranschreitendem Alter häufiger verwendet wird. Doch den meisten Menschen die ihn benutzen geht es auch nicht schlechter als früher, im Gegenteil. Die Welt ist im stetigen Fortschritt. Die Medizin kann heutzutage fast jeden Menschen gesund machen, die Gleichberechtigung und Akzeptanz schreiten voran, der Handel floriert und vielen Ländern geht es so gut, dass der Großteil der Bevölkerung sich einen guten Lebensstandard leisten kann. Natürlich gibt es Ausnahmen und auch die Länder der Erde mit schwächerer Wirtschaft oder einer extrem hohen Armut sind nicht zu vergessen! Allerdings gab es in unserer Geschichte dennoch keine Zeit in der so viel möglich war. Vielleicht ist aber auch genau das das Problem.
Die Entwicklung der Menschheit steigt exponentiell. Wie weit der Fortschritt in Medizin und Technik allein in den letzten Jahrzenten vorausgeflogen ist. Vor 30 Jahren kam das erste Handy auf den Markt. Heute können wir mit unseren Smartphones ins Internet, bestellen, Filme sehen, per Video oder Sprachnachricht mit Freunden kommunizieren, das Wetter beobachten, den Beruf koordinieren und sogar unser Haus fernsteuern. Das nur als kleines Beispiel. Warum sollte man sich in dieser Welt in die Vergangenheit sehnen?
Überlegen wir mal:
Der aktuelle Wohnungsmarkt ist eine Katastrophe. Wenn man nicht zu den wenigen Glückspilzen dieser Erde gehört, sucht man sich die Augen und Finger wund in den Wohnungsanzeigen und nicht selten gibt man sich dann mit weniger zufrieden als gewünscht oder bezahlt horrende Summen für das Wunschobjekt. Dann wird ein Haus oder eine Wohnung ausgesucht und renoviert, aufgrund einer gefährlichen Bausubstanz und kurz danach wird eine Studie veröffentlicht in der steht dass der Rohstoff, den man als Ersatz gewählt hat, ebenso gesundheitsschädlich ist. Genauso wie dieses und jenes Produkt von Aldi, Lidl oder Edeka das nun zurückgerufen wird oder das ganze „Plastik überall“. Neue Krankheiten tauchen auf und schlagen Wellen durch die Medien. Ebenso wie Naturkatastrophen und Skandale in der Politik. Jeden Tag werden Nachrichten um die Welt geschickt von schlimmen Ereignissen, Schicksalen der Einzelnen und Leid was um sich greift. Immer mehr negative Bilder sind zu sehen und die Öffentlichkeit rennt dem Ganzen ja gerade zu hinterher. Ist das die Welt in der wir leben wollten? Ist das das Leben, dass wir uns als kleines Kind gewünscht haben?
Oft besteht sogar das Gefühl von Staat und Handel belogen zu werden. Das neue Smartphone geht nach einem Jahr kaputt weil die Dinge nicht mehr für die Ewigkeit gebaut werden und ständig neue Modelle auf den Markt kommen. Wenn man sich ein neues aussuchen möchte, muss man sich erst einmal eine Weile durch die abertausend Angebote verschiedener Hersteller wühlen bis man das findet was man möchte. Manchmal kann man sich auch gar nicht entscheiden bei der Fülle an Wahlmöglichkeiten. Es muss dann schon perfekt sein und mit der Zeit wird man immer wählerischer. Nicht nur bei Technik. Andererseits interessieren sich viele für alles und schieben die Entscheidung vor sich her. Die Wahl ist zu schwer. Wie viele Filme und Serien stehen seit Ewigkeiten auf der eigenen Watchlist und doch schaut man dann häufig etwas anderes. Auch die Frage nach dem Beruf steht bei vielen Jugendlichen heutzutage sehr lange im Raum und viele wissen auch zum Abitur noch nicht was sie wirklich von ihrem Leben wollen. Tausend Ausbildungsmöglichkeiten und Studiengänge machen die Wahl nicht einfach. Durch die nicht ruhende Entwicklung überall werden ständig neue Jobs geschaffen. Für was sich also entscheiden? Andererseits werden viele Jobs durch Systeme oder Roboter ersetzt und damit werden Menschen auf die Straße geschickt. Alles geht rasant und wird gefühlt noch immer schneller. Neue Trends, neue Ideen, alles muss innovativ sein. Jeder will sich abheben. Tausend Anbieter und jeder will der Eine sein und der Verbraucher ist überfordert.
Anstrengend, oder?
Allein das Lesen lässt den Körper Stress spüren und dieser Welt sind wir täglich ausgesetzt. Kein Wunder also wenn viele Menschen gereizter und aggressiver werden. Der Druck der Welt steigt. Auf jedes Individuum. Dieser Druck wird vielen auch irgendwann zu viel, der Mensch kommt kaum noch hinterher. Burnout ist längst kein Phänomen mehr, sondern eine gängige Erkrankung. Warum fragen wir uns also noch warum sich so viele zurück wünschen in vergangene Zeiten oder schlicht in die Kindheit. Da war vieles schlicht einfacher, da es nicht so viele Möglichkeiten gab. Damit kommen wir der Sache auf die Spur.
Die Flut an Möglichkeiten bietet uns eine extrem offene Zukunftsvorstellung. Es kann alles passieren, „Nichts ist unmöglich“ und man kann in jede Richtung gehen. Genau dieses Ungewisse macht Angst. Unbewusst oder bewusst versucht jeder Mensch seine Zukunft einzuordnen denn der Urgedanke/Wunsch nach Sicherheit sitzt seit Millionen Jahren in unserer DNA. Wir verbinden Neues gerne mit Bekanntem um ein Bild davon zu bekommen. Wir suchen nach Analogien um es besser zu verstehen, denn neue Dinge sind anfangs schwer vorstellbar ohne Vergleich. Wir stecken also prinzipiell so oder so schon in gewisser Weise immer in der Vergangenheit.
Gehen wir noch weiter zurück:
Immer öfter hört man von Mittelalterstädten/ -festivals oder Erlebnisangeboten. Immer mehr Menschen möchten ausprobieren wie es damals war, denn dabei muss nicht viel gedacht werden. Die Möglichkeiten schränken sich ein und auch der Druck fällt ab. Die romantische Vorstellung des einfachen Bauernlebens oder das einer Prinzessin im Mittelalter, wird durch Geschichten und Filme zusätzlich gepusht und unter heutigen Bedingungen lebt es sich als einfacher Bauer in einem Schaudorf auch gar nicht so schwer. Könnte man den Eindruck gewinnen, dass das eine attraktive Lebensidee ist. Doch eben diese Geschichten und die Verfremdung der Wirklichkeit, durch das Übertragen dieses Lebens auf die heutige Zeit, entstellt die tatsächliche Vergangenheit. Dass Bauern häufig unter Hunger und Geldnöten litten, in den Krieg geschickt wurden und damals kaum eine Krankheit wirklich „geheilt“ werden konnte, dies vergisst man leicht. Es war also keineswegs ein einfaches Leben. Ähnlich verhält es sich mit der Vorstellung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts (Oma und Opa) oder der 60er bis 80er (Mama und Papa) und allem anderen was vor der jetzigen Zeit liegt. Kennen wir nicht meistens nur die guten Geschichten der Vergangenheit? Wer erzählt schon gerne traurige? Viel lieber hört man von den tollen Reisen und den schönen Momenten mit Familie und Freunden. Daran erinnert sich Mensch auch am Liebsten (das nutzt auch das Marketing). Alles wird romantisiert und bietet eine wunderbare Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag und dem anstrengenden Leben. Genau hier kommen wir auch zur Frage nach dem Alter. Je älter, desto höher die Sehnsucht nach früher.
Weniger Sorgen, weniger Dinge und Pläne im Kopf um die man sich kümmern muss. Weniger Stress, weniger Verantwortung für einen selbst und andere.
Das Erwachsenwerden ist kompliziert und damit muss sich jeder Mensch irgendwie allein auseinandersetzen, denn nur so entwickelt sich die Selbstständigkeit im Leben. In dieser Zeit probiert der Mensch sich auch aus und schaut sich in der Welt um. Diese Eindrücke begleiten bis ins Alter und je älter man wird desto mehr „steckt man fest“. In Familie und Karriere oder im eigenen, nicht mehr so ganz agilen Körper. Man wird konfrontiert mit der eigenen Sterblichkeit und sehnt sich nach der Zeit zurück in der noch so viel möglich war.
Und hier sind wir wieder am Anfang!
Die Möglichkeiten, Freude und Leid zugleich. Alles hat Vorteile und Nachteile, denen wir in gewisser Weise schutzlos ausgeliefert sind. Deshalb suchen wir nach Sicherheit und wünschen uns in Momente, in denen wir unserer Meinung nach, die Kontrolle haben.
Vergangene Zeiten, von denen wir meinen alles zu wissen oder vergangene Zeiten, in denen wir alles unternehmen konnten, was wir wollten. Ohne durch Job, Familie oder uns selbst eingeschränkt zu sein. Lieber etwas Bekanntes, als etwas Ungewisses. Doch dem Ungewissen, der Gegenwart oder der Zukunft müssen wir uns leider stellen, so oder so.
Aber eigentlich ist das doch unser größtes Glück! Denn unsere Zeit ist nicht schlecht und die Zukunft können wir noch selbst gestalten! Das ist unser Ding! Machen wir etwas draus, aus dem wir nicht mehr fliehen müssen! Wandeln wir sie zu dem was wir uns wünschen und gehen wir ihr mit Freude entgegen!
Du willst noch mehr darüber wissen, warum es früher vielleicht besser war? – Dann geht es in Teil 1 weiter.