Weil es ihr lange verwehrt war, findet Jessica Bradley erst langsam zu ihrem jüdischen Erbe. Mit ihrem ersten Chanukka erlebt sie das Gefühl anzukommen – aber auch Ablehnung.
Nun liegt es hinter mir, mein erstes Chanukka. Nun habe ich meiner ersten eigenen Erinnerungen an das achttägige jüdische Lichterfest. Ich fühlte mich seltsam losgelöst. Endlich konnte ich einen Teil von mir selbst ausleben, der Jahrzehnte verschüttet war.
Wir waren nicht gut ausgerüstet. Da ich zu einer Tradition zurückkehre, die meine Familie zuvor nicht praktizierte, konnte ich beim wichtigsten Gegenstand für das Fest nicht einfach auf ein Familienerbstück zurückgreifen. Eine Freundin von mir, selbst Jüdin, war so unglaublich lieb und hat uns eine Chanukkia zugeschickt, den neunarmigen Kerzenleuchter.
Trotzdem blieb vieles noch etwas improvisiert. Schon weil die Chanukkia wegen der zurzeit ziemlich überforderten Paketdienste doch erst am fünften Tag ankam, und wir bis dahin Teelichter entzündeten. Improvisiert aber auch, weil mein Mann, meine Kinder und ich aus der Familie nie etwas über jüdische Tradition erfahren haben.
Warum zündet man erst die Dienerkerze an? Warum werden die anderen Kerzen nur mit dieser Kerze entzündet? Warum von links nach rechts jeden Tag nur eine zusätzliche? Was dahintersteckt? Das weiß ich bis jetzt noch nicht. Aber ich werde es herausfinden und gerne nochmal einen ausführlichen Artikel im nächsten Jahr schreiben. Wir haben die Rituale benutzt, die uns bekannt waren.
Die Wärme der Kerzen
Meine Tochter hat, sobald die Sonne unterging und die Sterne zu sehen waren, die Kerzen entzündet. Da ich meist länger arbeiten musste, haben wir sie erneut angemacht, als ich zu Hause angekommen war. Doch am ersten Tag von Chanukka konnten wir gemeinsam beginnen. Als die Kerzen aufflammten, breitete sich in mir ein Hochgefühl aus, ein Gefühl davon angekommen zu sein – auch, dass in unserer Familie etwas angekommen ist, das dort lange Zeit fehlte.
Während der ersten Stunde der Dunkelheit bekamen meine Kinder Münzen und kleine Geschenke. Danach wird an den Festtagen traditionell öliges Essen, wie Latkes (Kartoffelpuffer) oder Sufganiyot (Krapfen) zubereitet. Da wir keine Fans von Latkes sind und für die Zubereitung von Sufganiyot auf Grund meiner Arbeit leider die Zeit fehlte, haben wir einfache, ölige Rezepte wie Kartoffel-Zucchini-Auflauf mit Kräutern und viel Olivenöl zubereitet.
Doch mein Hochgefühl vom ersten Abend, schwand mit jedem weiteren Tag. Es fehlte etwas. Erst nach gründlichem Erforschen meiner Gefühle wurde mir klar, dass es das Mystische war, das fehlte.
Dieses Mystische solcher Feste verankert sich in uns, denke ich, aus unserer Wahrnehmung als Kind. Wie wir damals das Ritual an Chanukka erfahren und empfanden, lebt im Moment der Wiederholung in uns auf. Aber ich habe dieses Fest als Kind nie erlebt. Dass Chanukka gefeiert wird, um an die Wiedervereinigung der zwei Tempel in Jerusalem im jüdischen Jahr 3597 (164 v. Chr.) zu erinnern, habe ich als Erwachsene gelesen. Ich saß als Kind nie auf einem Schoß und hörte gespannt die Geschichten von glorreichen Makkabäeraufständen oder das Märchen vom Lämmchen vor dem Throne Gottes.
Diese Geschichten sind es, die uns prägen und auch die Feiertage mystisch erscheinen lassen. Das ist ein Teil, der mir geraubt wurde, und das wurde bei meinem ersten Versuch Chanukka zu feiern sichtbar.
Die Kälte der Ignoranz
Und leider wurde die Situation nicht besser bei den Reaktionen von außen
Zu Beginn habe ich euphorisch den Menschen, denen ich begegnete, ein Chanukka Sameach – ein schönes Lichterfest – gewünscht. Und mit jedem Menschen mehr sank meine Stimmung tiefer.
Eine Welle von Desinteresse und Ignoranz kam mir entgegen. Von „Ach, Sie sind eine von denen“ bis zu einem angewiderten „Was ist das denn?“. Von eisigem Schweigen bis „Wir sind nicht religiös und glauben nicht an sowas“ (nur um mir dann fünf Minuten später ein schönes Weihnachtsfest zu wünschen).
Ab dem zweiten Tag habe ich es unterlassen. Hab mich wieder unsichtbar gemacht.
Nicht dass ich nicht teilweise mit Ablehnung oder Unwissenheit gerechnet hätte! Doch diese Wucht und diese Masse, damit habe ich nicht gerechnet. Lediglich eine Person wünschte mir ein Schönes Chanukka.
Ich weiß, dass wir in einem christlichen Land leben. Aber wir leben auch in einem Land, das vielfältig ist. Es tut doch niemanden weh, einem Menschen etwas Freundliches zu erwidern, wenn einem etwas Freundliches und Fröhliches gewünscht wird. Egal ob es um Ramadan und das anschließende Fastenbrechen geht, um Chanukka oder ein anderes Fest. Muslime und Juden wünschen doch auch Frohe Feiertage. Warum fällt es so schwer, dies zu erwidern?
Mein Résumé zu Chanukka
Mein Fazit ist: Wir hatten daheim ein schönes Fest. In einem kleinen Kreis – aber trotzdem sehr schön. Meine Gefühle sind zwiegespalten. Ich hoffe sehr, dass es für mich mit jeden Feiertag, mit jeder neu entdeckten Geschichte doch noch besser wird. Ich habe mir vorgenommen, im neuen Jahr Hebräisch zu lernen, und freue mich immer noch und weiterhin darauf, meiner Geschichte näherzukommen.
Ich habe allerdings auch gelernt, dass ich diese Freude nicht nach außen tragen darf. Die teils heftigen Reaktionen haben das klar gemacht. Und auch, dass ich eine Kundin verloren habe, die meine Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen möchte, nun da klar wurde, dass ich eine von denen bin. Ja, über diesen Abschied bin ich nicht traurig. Aber das Gesamtbild stimmt mich traurig.
Und ich befürchte, ich bin zu sehr Jüdin, um zu hoffen, dass sich das jemals ändern kann.